Blog Dezember 2017

DEZEMBER 2017
ADVENTSZEIT

Ich laufe durch einen Winterwald, aber es liegt kein Schnee. Bin extra mit dem Zug irgendwohin gefahren, in eine Gegend, die ich noch nicht kenne. Tief atme ich die würzige Luft ein, die vor allem die Nadelbäume ausströmen. Sehr weit laufe ich diesmal, kilometerweit. Ich habe Zeit an diesem ersten Advent. Wer mag mir heute begegnen im märchenhaft schönen Wald? Das letzte Mal war es ein riesiger Hirsch, ein Zwölfender, der da plötzlich mitten im Weg stand und mich lange anschaute, bevor er schließlich wieder im Dickicht verschwand. Das war vor Jahren in einem anderen Wald. Aber dieser Wald hier bleibt merkwürdig still.
Plötzlich kommen mir zwei junge Mädchen entgegengerannt und reiben sich ihre roten Augen.
„Was ist los, braucht ihr Hilfe?“ frage ich anteilnehmend. „Habt ihr geweint?“
„Unsere Augen sind rot vom Pfefferspray“, erklärt eine der jungen Frauen.
Ich verstehe nicht gleich, wollten sie sich verteidigen gegen Angreifer und der Wind hat ihnen das Spray selbst ins Gesicht geweht? So etwas soll vorkommen.
Aber sie erklären mir, dass die Polizei sie mit Pfefferspray besprüht hat, weil sie den Wald verteidigen wollten.
„Aber, wer greift denn einen Wald an?“ lache ich ungläubig. Sind die beiden jungen Leute vielleicht etwas zu fantasiebegabt?
„Laufen Sie noch ein paar Kilometer weiter, dann werden Sie es mit eigenen Augen sehen“, höre ich.
„Ein Energiekonzern holzt einen Wald ab, um Braunkohle zu fördern.“
Mir verschlägt es die Sprache. So etwas passiert im Amazonas aber doch nicht hier in Europa.
„Das ist in Deutschland schon lange verboten, es dürfen keine Kahlschläge mehr gemacht werden“, rufe ich entsetzt aus.
„Dieser Wald hier steht seit 12 000 Jahren und ist für unzählige Tiere und Pflanzen eine Heimat. Man kann einen Lebensraum, den ein Altwald bietet, nicht ersetzen. Dieser Konzern ist ein Mörder.“
„Die sind illegal, die roden den Wald illegal.“
Den Mädchen treten wieder die Tränen in die Augen und es ist nicht ganz klar, ob wegen des Pfeffersprays oder des Mitgefühls mit dem Wald und seinen zum Sterben verurteilten Bewohnern.
Ich erfahre, dass junge Leute den Wald besetzt haben und die Rodung stoppen wollen. Sie wohnen in Baumhäusern und wollen verhindern, dass noch mehr Unheil geschieht. Der größte Teil des Waldes ist schon unwiederbringlich hinüber.
„Und das in Zeiten des Klimwandels“, rufe ich entsetzt aus. „Jeder einzelne Baum ist wichtig, 40% eines Landes müssen bewaldet sein, damit der Klimawandel gestoppt werden kann.“
„Na, dann gehen Sie mal da hin und sagen Sie das den Verbrechern dort!“
Plötzlich passiert etwas Merkwürdiges: aus dem Dickicht des Waldes kommen viele Tiere, voran mächtige Rothirsche, gefolgt von Wildschweinen, Rehen, Füchsen und kleinen Nagern. Auch Biber sind dabei, Luchse und Wildkatzen. Sie laufen den Weg entlang und wir folgen ihnen. Was ist hier los?
Nach ein paar Kilometern treffen wir auf die Waldfrevler, die sogar am Advent ihre Sägen an die uralten Baumriesen legen und mit verkniffenen Gesichtern ihren Baummord vollziehen. Aber plötzlich geschieht ein Wunder.
Zuerst geht einer der großen Hirsche vor und rammelt einem der Säger sein Geweih in den Bauch. Der kann gar nicht so schnell gucken, wie ihm die Säge aus der Hand fällt. Natürlich wollen sich die Männer wehren, aber die Tiere sind zu viele – es werden immer mehr, wo kommen die nur alle her? Jedenfalls wollen sie sich ihre Heimat nicht wegnehmen lassen und die übriggebliebenen Baumriesen nicken ihnen voller Freude zu.
Die zwei Mädchen und ich – wir denken wir sind im Kino bei einem Abenteuerfilm.
Es tobt ein erbarmungsloser Kampf zwischen den Waldmördern und dem Wald. Anders als in der Wirklichkeit, gewinnt hier der Wald und die Wölfe erledigen den Rest, als sie kommen und den noch lebenden Frevlern die Kehlen durchbeißen.
Das glaubt ihr mir nicht? Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen. In der Adventszeit, als das Wünschen noch geholfen hat.
Später lade ich die Mädchen zu mir nach Hause ein und lese ihnen ein Kapitel aus dem Roman FOREST vor. Bei Pfefferkuchen, Glühwein und Kerzenschein.

Allen meinen Lesern eine frohe Adventszeit!